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ÜBER DIE UNMÖGLICHKEIT DES DISTANCE LEARNINGS

… IM REGULÄREN SCHULSYSTEM & HOFFENTLICH ENTLASTENDE GEDANKEN FÜR ELTERN  

 

Diese Gedanken habe ich eigentlich schon im November, im vorigen Lockdown, niedergeschrieben. Einfach, um mir selbst meine Gedanken zu ordnen. Als Pädagogin und Mutter. Und da das Thema aktuell bleibt, gehen meine Gedanken nun auch für euch online.

 

Eltern sind keine Pädagogen und Pädagoginnen. Und selbst wenn sie es sind, funktioniert diese Doppelrolle meist weniger gut. Hier spreche ich aus eigener Erfahrung. Blinde Flecken – also Bereiche, die wir einfach nicht sehen – hat JEDER Mensch. 

 

Daheim ist nicht Schule. Daheim sind reale Aufgaben zu lösen, etwa: ist genug Mehl da, um Weihnachtskekse oder Geburtstagstorte zu backen. Essentiell wichtig für der Wohlbefinden meiner Tochter! 

In der Schule werden oft künstliche Momente erschaffen, um Unterrichtsinhalte zu vermitteln. So werden meist Gewichtsmaße besprochen, weil „plötzlich“ die Pädagog/in eine Waage und Gewichte in der Klasse aufgestellt hat. Das geht irgendwie gut, wenn alle Vorort sind und das eben nun das gemeinsame Projekt ist. Im Idealfall wird etwas Sinnvolles gewogen und ist interessant.

 

Warum ich das schreibe?

 

Ich will uns Eltern, die wir Kids im Distance Learning begleiten, den Druck nehmen.

 

Wir wissen mittlerweile, dass wir dann erfolgreich lernen, wenn beim Lernen alle unsere Sinne angesprochen werden und wir Freude dabei haben. Kids stundenlang vor einen Bildschirm zu setzen ist schlimmer als 5 Stunden Frontalunterricht in der Schule. (Anmerkung: Ich habe nichts gegen Frontalunterricht, wenn er in kurzen, sinnvollen Phasen passiert.) 

 

Ich weiß nicht, wie es dir nach Online-Meetings geht, aber ich bin nach 1 1/2 Stunden weit erschöpfter als Vorort in einer Besprechung. Wieso soll es den Kindern anders gehen? Und seitenweise Rechnungen zu lösen und Fragen zu beantworten ohne Kontakt und Feedback sind öde. Nervenraubend. Vielleicht noch sinnloser als in der Schule. Kein lachen darüber, dass so ein schräger Fehler passiert ist. Keine tröstenden Worte von Freund*innen, wenn etwas daneben gegangen ist… das kann auf Dauer nicht gut gehen. Wir sind keine Roboter, auf die ein Programm einfach runtergeladen werden kann. 

 

Daher funktioniert es nicht, einfach den "altbewährten" Unterricht aus einem Klassenraum nach Hause zu verlegen. 

 

Außerdem: Schule ist ein sozialer Ort. Kinder brauchen andere Kinder, so wie wir andere Erwachsene um uns brauchen – wenn du das nicht glaubst, dann stell dir mal vor wochenlang der/die einzige Erwachsene unter Kindern oder Teenagern zu sein, ohne dich mit einer anderen erwachsenen Person unterhalten zu können… 

 

Und wir sollten bedenken: unsere Teenager sind in hochsensiblen Phasen, ohnehin schon voller Unsicherheit und Fragezeichen. Ich fand meine eigene Teeniezeit unglaublich anstrengend. Das ist normal und gehört dazu. Doch gerade in dieser Zeit brauchen Jugendliche das Umfeld ihrer Freunde und Freundinnen dringend. Und auch andere Ansprechpersonen als nur die Eltern. Weil sie sich auf neue Wege begeben müssen, um eigenständige Persönlichkeiten zu werden.

 

 

Wichtiger denn je finde ich, dass wir als Ansprechperson da sind.

 

Besonders, wenn Kinder ihre Gedankenwelt wenig mit uns teilen. Denn sehr oft phantasieren sie sich Erklärungen zurecht, die nicht der Realität entsprechen. Auch hier fehlen vielleicht Lehrer*innen, denen sich Kinder anvertrauen. Lehrer*innen, die sich Zeit nehmen, die Gedanken der Kinder und Teenies zuzulassen. 

 

Daheim ist Zeit für einander aus meiner Sicht wichtiger als Schulstoff-Lernen. Gemeinsam spielen, malen, basteln, kochen, dekorieren… ist oft ein Einstieg in ein Gespräch. Wir dürfen unsere Kinder gerne fragen: Was würdest du denn anders machen?

 

Was würdest du tun, wenn du in der Regierung wärst? 

Wenn du dein/e Lehrer*in wärst? 

Und wer sich traut, kann auch fragen: was würdest du anders machen, wenn du ich (ein Elternteil) wärst?

 

Es ist spannend, den Ball zurückzuspielen. Aber bitte nur, wenn du offen zuhörst und das Gesagte nicht mit ABER entwertest oder belächelst. Sonst wird dir dein Kind sine Gedanken bald nicht mehr anvertrauen.

Ich sage dann oft: Aha, das klingt ja interessant. Wenn meine Tochter meine Gedanken wissen will, sage ich: Ich sehe das so…

 

Ich sage übrigens auch zu ihr: Du darfst anderer Meinung sein als ich... mit dem Zusatz, dass ich die wichtigen Entscheidungen treffe, weil ich mehr Lebenserfahrung habe. Sobald sie aber erwachsen ist, darf sie die Entscheidungen treffen.

 

Selbst wenn kein Gespräch zustande kommt, so sind Kinder, mit denen etwas aktiv getan wird, weniger allein. Unterrichtsstoff lässt sich nachlernen, wenn wieder mehr emotionale Ruhe eingekehrt ist. Unter emotionalem Stress können wir Menschen sehr schlecht lernen.

 

Alles, was uns schöpferisch tätig sein lässt, stärkt den Selbstwert. 

 

Wenn dein Kind selbst Frühstück macht, Deko bastelt – die dann auch zeremoniell aufgehängt und honoriert wird - oder ein Modellflugzeug zusammenbaut, das tatsächlich fliegt, dann sind das Momente, die den Selbstwert heben und in Erinnerung bleiben, wenn sie mit dem Gefühl der Freude verbunden sind. Und mit einem guten Selbstwert lässt sich alles leichter meistern, was im Leben so passiert und noch passieren wird. 

 

Ich bitte dich, als Elternteil, dir bewusst zu machen, dass du selbst in einer herausfordernden Zeit lebst – wenn dem für dich so ist. (Sonst vergiss meine Zeilen und fließe weiterhin mit deinem Leben!) 

 

Mir hilft es dann, liebevoller mit mir selbst zu sein. 

Erwartungen an mich herunterzuschrauben. 

Und auch Erwartungen an den Rest der Familie zu verringern. 

 

Ich tue, was gut möglich ist. Dabei achte ich auf meine Ressourcen und Kräfte. 

 

Es ist sinnlos mich selbst auszupowern – besonders in einer Situation, in wir nicht wissen, wie lange sie noch anhalten wird. Das, was wir seit fast einem Jahr erleben, hat einen bleibenden Eindruck in uns allen hinterlassen. Wir brauchen alle einen langen Atem und Durchhaltevermögen. 

 

Was hilft dir durchzuhalten?

Was hilft dir aufzutanken?

 

Wenn dir nur eine einzige Antwort einfällt, die du in der jetzigen Situation umsetzen kannst, dann hast du schon gewonnen.

 

Denn du weißt, wie du dich selbst unterstützen kannst. Also: tu es.

 

Und habe Vertrauen. Unsere Kinder werden ihren Weg machen. Doch brauchen sie Vorbilder, die ihnen zeigen, dass das Leben lebenswert sein kann, auch wenn es nicht immer schön und einfach ist. Und wenn du dein Leben l(i)ebenswert vorlebst, bist du das beste Vorbild.

 

Von Herzen,

Sigrid 

 

 

Noch ein paar Bildungs-Gedanken nach bald einem Jahr Lockdowns…

Wenn das mit den Lockdowns so weitergeht, wäre ich mittlerweile eine Befürworterin dafür, dass alle Kinder dieses Schuljahr wiederholen. So könnte Unterrichtsstoff in Ruhe nachgelernt werden und es wäre Raum da, soziale Stunden für Gespräche über das durch Covid-19-Erlebte einzubauen. So könnten die Kids, die den Aufstieg in die nächste Stufe noch nicht schaffen, in der Klassengemeinschaft bleiben. Die anderen könnten ihr Wissen festigen. 

Ja, es wir müssten dazu gewohnte Wege verlassen – aber haben wir das nicht ohnehin schon?

Ja, es bräuchte Geld und Raum, da ja ein neuer Jahrgang nachrückt – aber wäre es nicht Zeit endlich auch Geld neben Kurzarbeit und Betriebszuschüssen in die Bildung zu investieren?

Und wir bräuchten aus meiner Sicht auch psychosoziale Begleiter an den Schulen, die die Pädagogen entlasten – das wünschen sich viele Pädagog*innen schon lange.

Und nein - ganz wichtig! -  ich glaube nicht, dass unsere Kinder psychisch krank werden, weil sie diese Phase miterleben. Das ist hoffentlich bei euch so angekommen. Doch um auch emotional gesund zu blieben, brauchen sie mehr Unterstützung als davor – und nicht weniger.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Bettina Stephanie (Donnerstag, 14 Januar 2021 09:07)

    Mir gefallen deine Gedanken. Finde sie sehr anregend. Danke, dass du allen Eltern und Wegbeleiter*innen von Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit dadurch schenkst an sich zu glauben, sie zu entlasten, klar anzusprechen, was neue Möglichkeiten wären, die den Kindern Halt schenken.

    Ja lernen findet überall statt. Jeden Tag unzählige Male. Und unsere Kinder suchen sich Dinge, die sie interessieren, mit denen sie dann zu uns kommen...wenn wir es zulassen.

    Herzlichst, Bettina

  • #2

    Sigrid (Donnerstag, 14 Januar 2021 10:58)

    Liebe Bettina!
    Herzlichen Dank für dein Feedback. Und ja, lernen findet überall statt. Vielleicht nicht das, was im Lehrplan steht, aber das was gerade in der Entwicklung unserer Kinder ansteht. Ich sehe das auch so. Wir müssen es jedoch zulassen...

    Alles Liebe,
    Sigrid