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Wie Double Binds uns unglücklich machen

#Sternenkind #Trauer

 

Heute möchte ich wieder ein paar hoffentlich tröstende und kraftspendende Worte an Sternenkindmamas und ihre Begleiter*innen richten. Denn es kann uns auf lange Zeit in unserem Leben sehr fordern, wenn wir ein oder sogar mehrere Kinder verloren haben. Genauso kann es für unsere Partnerschaften, für unsere Freundschaften, unsere Familien schwierig sein mit solch einem Schicksal umzugehen. Vielleicht hilft dir mein Weg auch dabei deinen Weg zu gehen.

 

Unsere 2. Tochter wird am 6. Februar dieses Jahr gefühlt das 5. Jahr in Folge von uns gehen. Denn jedes Jahr aufs Neue darf ich sie ein Stückchen mehr gehen lassen. Und finde ein Stückchen mehr in mein „anderes“ Leben, mein Leben ohne sie.

 

Nun, nach 5 Jahren, wird mein Denken immer klarer. Ich kann aus noch weiterer Distanz, aus noch größerer Perspektive ein noch vollkommeneres Bild auf meinen Weg erkennen. Und mit diesem Blick habe ich einen Double Bind erkannt, der mein Lebensgefühl bisher in jedem Winter bedrückt.

 

Ein Double Bind bindet dich – wie der Name schon sagt – doppelt. Es sind Doppelbotschaften. Vielleicht kennst du den Begriff. In der Psychologie wird er verwendet, um aufzuzeigen, wie dich das Verhalten anderer durch Doppelbotschaften durcheinander bringt und verunsichert. So kann es sein, dass deine Eltern Wert auf gute Schulnoten und eine höhere Ausbildung aus die eigene gelegt haben und gleichzeitig schlecht über Menschen geredet haben, die es „weiter gebracht haben“ als sie selbst. Oder du hast einen Partner, der will, dass du viel Geld verdienst und gleichzeitig daheim bleibst und dich um die Kinder kümmerst.

 

Double Binds binden uns doppelt, weil wir – egal was wir tun – nur verlieren können. Erfüllen wir den einen Anspruch, haben wir den anderen nicht erfüllt. Also eine Lose-Lose-Situation.

 

Es für deinen Weg unheimlich wichtig, Double Binds in einem ersten Schritt zu erkennen und zu benennen. Denn sehr oft sabotieren wir uns durch diese selbst und erreichen unsere Ziele nicht. Oder verlieren Selbstbewusstsein. Lebensfreude. Leichtigkeit.

 

Der Double Bind, dem ich auch die Schliche gekommen bin, geht für mich noch einen Schritt weiter. Denn es hat mir niemand von außen „eingeflüstert“. Oder vielleicht doch? Weil in unserer Gesellschaft Sterben als „Verlieren“ gilt? Weil es heißt: nur wer überlebt, hat gewonnen? Klar: Jeder Tod ist schmerzlich, weil er zumindest unsere eigene Sterblichkeit berührt. Jeder Verlust kann uns das Herz brechen. Der Tod des eigenen Kindes bricht unweigerlich etwas in uns entzwei.

Aber auch Krankheit, mit Krankheit in der Familie leben und dadurch nur eingeschränkt oder eine zeitlang garnicht zu arbeiten, wird in unserer Leistungsgesellschaft mit Argwohn betrachtet. Rückzug und Erschöpfung dürfen kaum sein. Aktivität und Tun sind in vielen Bereichen Credo. Zu viel Yang, zu wenig Yin.

 

In diesem gebrochenen Herzen habe ich nach dem Tod unserer Tochter oft das Gefühl gehabt, dass ich dankbar bin, dass diese so schreckliche, zermürbende, angsterfüllte Zeit vorüber ist. Und dann setzte das Double Bind ein: wie kann ich nur froh sein, dass diese Zeit vorüber ist? Denn mit ihr ist auch die Zeit vorbei, in der ich meine Tochter im Arm halten durfte, ihren Babyduft atmen durfte, ihr Lächeln sehen durfte. Ich befinde mich in einer Situation, in der die Erinnerung an die Zeit mit meiner Tochter ebenso schmerzhaft ist wie die Zeit ohne sie. 

 

Vielleicht ist das kein klassischer Double Bind, doch für mich fühlt es sich so an. Denn ich kann nicht glücklich an die Zeit mit unserer Tochter denken, außer an ein paar so unendlich wertvolle Momente - denn innerlich befand ich mich in der Zeit mit ihr fast permanent am Rande des Abgrunds. Und ich kann natürlich nicht glücklich sein, dass diese schlimme Zeit vorbei ist – denn mit ihr ist auch mein Kindes gegangen.

 

Wie gehe ich nun mit dieser inneren Zerrissenheit um. 

*Ich habe meine Zerrissenheit erkannt.

*Ich weiß, ich bin nicht die einzige, der es so geht. 

*Ich habe das, was mich zerreißt,  benannt.

*Ich gebe mir die Erlaubnis, mich innerlich zerrissen zu fühlen und verurteile mich nicht für meine Gefühle.

*Ich lasse Wut und Hilflosigkeit da sein. Genauso wie Freude und Zufriedenheit.

*Ich erinnere mich an all die wunderbaren Momente, die ich mit unserer Tochter erleben durfte.

*Und ich gebe mir die Erlaubnis dankbar und glücklich zu sein, dass ich auf gewisse Art und Weise wieder frei leben darf. Frei von permanenter Todesangst um mein Kind. Frei, um Energie für all die wunderbaren Menschen in meinem Leben und natürlich auch für mich selbst zu haben.

 

Und trotz allem bleibt der Gedanke: ich wünschte, unsere kleine Tochter wäre hier.

 

Herzengrüße,

Sigrid

 

 

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