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Mut wächst mit der Gelegenheit

Mein Herz klopft etwas schneller. Meine Kehle wird trocken. Meine Stimme verstummt. Mein Körper wird steif. Mein Kopf ist leer oder schreit: Nichts wie weg! Diese Anzeichen zeigen mir, dass wieder Mut angesagt ist. Ich lese die Zeichen meines Körpers. Bedanke mich für die Warnung. Rede ihm und mir gut zu. Wir schaffen das schon. Wenn ich genug Zeit habe, erinnere ich mich daran, wann es gut gegangen ist, dass wir mal Mut bewiesen haben.

Ich finde es so wichtig Momente zu schaffen, in denen ich aus meiner Komfortzone gehe. Ganz bewusst. Andere Menschen treffen. Noch unbekannte Events besuchen. Reisen. Denn früher oder später kommt das Leben und mein Mut ist gefragt, ob ich will oder nicht.

 

Ich glaube ein besonderes Mut-Thema von sehr vielen Frauen ist das Grenzensetzen. Nein sagen. Stopp sagen. Den Mut zu haben, nicht das brave Mädchen zu sein, für das wir in der Kindheit so lieb gehabt wurden. Nicht die Unkomplizierte zu sein, die für ihr Zurückstecken und ihre Anpassung gelobt wurde, weil es ja so angenehm und einfach war uns als Töchter zu haben. 

Als Kind wäre der Verlust zu unseren engsten Bezugspersonen lebensbedrohlich gewesen. Wir waren auf sie angewiesen. Die Momente haben sich in unserem Unbewussten abgespeichert, werden durch Stresssituationen getriggert und wir reagieren automatisch wie damals. Um sicher zu sein. 

 

Traust du dich deine Stimme zu erheben? In welchen Momenten sprichst du eine Wahrheiten aus?

In welchen Momenten fällt es dir noch schwer, weil deine Stimme im Kehlkopf schwach wird?

Was ist deine größte Angst, wenn du etwas aussprichst, das anderen unangenehm sein könnte?

Wie wichtig ist dir Harmonie in deinem Umfeld?

Ist dir Harmonie in deinem Umfeld wichtiger als der Frieden in dir?

Was hindert dich daran dem Gegenüber die Fähigkeit zuzusprechen, dass er oder sie selbst für sich einstehen wird?

Wovor willst du dein Gegenüber schützen, indem du dich zurückhältst?

Wovor willst du dich schützen?

Dürfen andere Menschen in deiner Gegenwart ihre Wahrheit aussprechen?

Wie fühlst du dich, wenn ihre Wahrnehmung eine andere als die deine ist?

Wann verurteilst du Menschen dafür, dass sie eine andere Wahrnehmung haben als du?

 

Und die Masterfrage: Was würdest du alles aussprechen, wenn du vor nichts Angst hättest?

Sei mutig.

Schreib es auf.

Lass es fließen.

Lass es kommen.

Lass den Wut und Ärger in dir hochkommen.

Schreib weiter.

Atme.

Vielleicht fließen Tränen.

Tränen der Wut, der Erleichterung, der Trauer.

Darüber, dass du es Momente gegeben hat, in denen du noch nicht für dich einstehen konntest.

Darüber, dass du es noch nicht anders konntest, weil du es so gelernt hattest.

Blieb bei dir.

Geh nicht in die Opferhaltung.

Denn deine Eltern, Großeltern, Lehrer*innen wussten es damals nicht besser und dachten, sie handeln zu deinem Besten.

Du bist jetzt erwachsen.

Du bist nicht mehr auf sie angewiesen.

Du kannst alles schaffen.

In kleinen Schritten.

Wenn du es wirklich willst.

Wenn du beginnst anders zu handeln.

Du kannst dir ein Netzwerk aus Gleichgesinnten schaffen.

Du wirst Menschen finden, die an deiner Wahrheit interessiert sind, wenn du beginnst diese auszusprechen.

Menschen, die dich als Bereicherung sehen in all dem, das du bist.

Menschen, dir dir den Rücken stärken.

 

Kinder brauchen unsere Begleitung und Ermutigung ihre Wahrnehmung auszusprechen. Ohne, dass sie dafür verurteilt oder belächelt werden. Wir können für sie Gelegenheiten schaffen. Gelegenheiten, in denen ihr Mut wachsen kann. Wenn du eine Tochter hast, bring ihr jetzt schon bei ihre Stimme bewusst einzusetzen. Nicht zu quietschen, wenn etwas nicht passt, sondern ein Nein aus ihrem Bauch heraus zu sprechen. Je zugeschnürter die Kehle, desto höher die Tonlage und weniger Volumen und Nachdruck hat das, was wir ausdrücken. 

Als Lehrerin bin ich oft am Streitschlichten. Dann lasse ich meine Kinder sich hüftbreit hinstellen, ruhig atmen und bitte sie mit ruhiger, kraftvoller Stimme ihr Anliegen vorzubringen. Mädchen fällt das meist viel schwerer als Jungen. Jungs müssen oft eher lernen ihre Sprache und Wörter zu finden statt ihre Fäuste sprechen zu lassen. Um Kinder zu begleiten müssen wir natürlich ehrlich und authentisch an ihnen interessierst sein, sie Kinder sein lassen und nicht erwarten, dass sie wie Erwachsene denken und die Welt sehen. Raum schaffen. Uns Zeit nehmen. Mehr zuhören. Dann zuhören, wenn die Kinder das Bedürfnis haben sich mitzuteilen, so uns das möglich ist. Den Mut haben auch die Wahrheiten über dich selbst hören, die dein Kind dir sagen wird. Da spreche ich aus Erfahrung mit meiner Tochter. Ihre Blickwinkel sind so unendlich wertvoll für mich, auch wenn ich sie nicht alle teile und ihr im Gegenzug meine Wahrnehmung erzähle.

 

Vielleicht liegt der Schlüssel zum Miteinander im Erzählen. Einander erzählen lassen. Die Wahrheit des anderen als eine Erzählung ihrer oder seine Weltwahrnehmung zu erleben. Uns mitnehmen lassen in diese Erzählung. Die Welt des anderen kennenlernen. Den Mut haben unsere innere Welt zu teilen. 

Schenke dir selbst und einem lieben Menschen die Gelegenheit euch gegenseitig eure Wahrnehmung zu erzählen. 

Denn dein Mut wächst mit der Gelegenheit.

Gelegenheiten kannst du dir erschaffen.

 

Herzensgrüße,

Sigrid 

 

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